Sattelhocker nutzen das Formprinzip des Fahrrad- und Reitsattels. Die Gesäßauflage ist im Falle des Sattelsitzes keine gleichmäßige Fläche, sondern eine sich verjüngende Form. Die Oberschenkel fallen somit stärker nach unten ab. Das Ergebnis ist eine aufrechte „Reiterhaltung“ mit geöffnetem Sitzwinkel und verminderter Beckenbelastung. Doch trotz vieler Vorteile greifen nur wenige Bürojobber zu dem alternativen Sitzmöbel. Dieser Kaufratgeber erklärt, warum sich der Test eines Sattelhockers lohnt.
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Auf einen Blick
Sinnvoll wenn typgerecht
Die wohl häufigste Frage beim Kauf lautet: Ist ein Sattelhocker gesund? Unsere Antwort hierauf: Ja, ein ergonomischer Sattelhocker ist prinzipiell ein sinnvolles Sitzmöbel – sofern das Modell typgerecht ist und die angedachte Sitzergonomie tatsächlich umgesetzt wird (mehr dazu im Ratgeber-Sattelsitzen). Zudem sollten Nutzer ihre Sitzzeiten individuell anpassen – gerade bei Rückenschmerzen. Im Büro ergänzen Hocker den klassischen Bürostuhl oft nur, sind also kein Ersatz. Hier die Vorteile und Nachteile von Sattelhockern in der Zusammenfassung:
Vorteile | Nachteile |
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Vorteile
Vorteile von Sattelhockern
Schon Goethe nutzte eine Art Sattelhocker und schätzte dessen Vorteile. Sicherlich kannte der Dichter die zugrundeliegenden Wirkungen des Sitzmöbels nicht. Was passiert also beim Sattelsitzen in unserem Körper?
Vorteil 1 – Beckenentlastung: Die offene Hocker-Sitzposition hat die bereits erwähnten grundsätzlichen Vorteile: Das Becken richtet sich auf. Die Wirbelsäule nimmt ihre natürliche S-Form an. Lendenwirbel werden entlastet, womit Sattelhocker auch bei Bandscheiben- bzw. LWS-Problemen helfen können. Aus den angesprochenen Gründen gelten Tätigkeiten wie Reiten und Radfahren in aufgerichteter Haltung als rückenfreundlich und zählen zu den sogenannten „orthopädischen Sportarten“.

Vorteil 2 – HWS-Entlastung: Neben dem unteren Rücken kann ein Sattel auch Verbesserungen bei Nackenverspannungen und Halswirbelsäulen-Syndromen (HWS) bewirken. Diese Beschwerden sind das Ergebnis vornübergebeugter Kopfhaltungen. Sie lassen sich bei Sitztätigkeiten kaum ganz vermeiden. Sattelhocker können das Vorstrecken des Kopfes verringern, da der Körper in eine aufrechte Grundposition gebracht wird. Der Nacken-Kopf-Bereich hat mehr Streckung als beim Sitzen auf einem konventionellen Drehstuhl.
Allerdings verleitet die Fixierung des Pos auf einem Sattelsitz wiederum zum Vorbeugen des Oberkörpers. So beugen sich beispielsweise manche Ärzte bei der Behandlung zum zum Patienten vor und gehen in eine Rundrückenhaltung. Sattelstuhlnutzer sollten daher möglichst nah an Objekte heranrollen, um eine annähernd gerade Achse von Rumpf und Oberkörper zu wahren. Ferner sollte der Sitz nicht zu tief eingestellt sein. Schließlich resultiert die Aufrichtung des Rumpfes aus dem offenen Beinwinkel bzw. dem annähernd mittigen Körperschwerpunkt.
Vorteil 3 – Besserer Blutfluss: Die aufrechte Haltung vergrößert den Winkel der Beine. Die Beine tragen das Körpergewicht somit stärker mit als dies beim konventionellen Sitzen der Fall ist. Der Druck auf die Oberschenkel und feine Gefäße im Oberschenkelgewebe wird gemindert.
Vorteil 4 – Bessere Atmung: Die Aufrichtung des Oberkörpers senkt zudem den Druck auf Hals, Brust und Bauch – beste Voraussetzungen für eine gute Atmung. Speziell die tiefere Bauchatmung wird begünstigt. Sattelsitzen kann daher zu einer wesentlich besseren Sauerstoffversorgung beitragen. Davon profitiert natürlich auch das Denkorgan. Unser Hirn verbraucht allein rund 20 Prozent des aufgenommenen Sauerstoffs.
Vorteil 5 – Weniger Druck im Genitalbereich: Skeptiker von Sattelhockern befürchten, dass diese unangenehmen Druck auf den Dammbereich ausüben, ganz wie ein unpassender Fahrradsattel. Das mag für bestimmte geschlossene Sattelsitze (bei Männern) auch zutreffen. Hersteller setzen daher vermehrt auf zweigeteilte Sattel oder solche mit mittigen Sitzrillen. Ein derartiger Sattelhocker vermindert den Druck auf die Genitalien gegenüber klassischen Drehstühlen mit flachen Polstersitzen nachweislich. Ein größerer Teil der Oberkörper-Last verteilt sich auf die Beine. Der Auflagedruck liegt punktueller auf den Sitzbeinhöckern, während das Weichteilgewebe „atmen“ könne – dies ist jedenfalls die Argumentation von Herstellern wie Salli.
Die folgenden Thermoaufnahmen veranschaulichen den Unterschied zwischen der flächigen Belastung (klassischer Stuhl) und der punktuellen Belastung (geteilter Sattel). Hersteller Salli argumentiert, dass diese Belastung die Durchblutung fördere und die Nervenenden im Beckenboden weniger reize.

Vorteil 6 – Kein Hitzestau: Ein Wort an die männlichen Leser: Wer einen Sattel im Büro als „unmännlich“ empfindet, sollte bedenken, dass ein geteilter Sattel seltener Taubheit und ggf. Erektionsstörungen verursachen dürfte als ein klassischer Bürostuhl. Wegen der breiteren Auflage begünstigen große Polster den Hitzestau im Bereich der Hoden.
Vorteil 7 – Entlastung des Magen-Darm-Trakts: Dass Sattelstühle die Verdauung „fördern“, wäre ein überzogenes Versprechen. Richtig ist aber, dass konventionelle Bürostühle die Verdauung eher hemmen und bestehende Darmleiden verstärken können.
Konventionelles Sitzen führt zu einer Beengung verschiedener Organe (Leber, Gallenblase und Darm u.a.). Wer sich auf einem klassischen Bürostuhl vorbeugt, übt Druck auf den Bauch aus. Der Sitzende zwängt dabei vor allem den Dick- und Enddarm ein. Zudem sind die Bauchmuskeln weitgehend inaktiv. Infolgedessen werden Nahrungsreste langsamer weitergeleitet. Sie stauen sich am unteren Ende des Dickdarms. Dieser weitet sich unter dem Druck aus, was Divertikulose (=Auswölbungen in der Wand des Dickdarms) befördern kann. Ein ausgedehnter Dick- und Enddarm übt unangenehmen Druck auf Prostata und Blase aus.
Vorteil 8 – Aufrichtungsimpulse: Wer auf einer konventionellen Sitzfläche Platz nimmt, dem fällt es schwer, im Büroalltag in einer aufrechten Körperhaltung zu arbeiten. Diese ist eine natürliche, günstige Körperhaltung des Menschen. Das Sattelsitzen verringert in vielen Fällen Verspannungen im Bereich der Halswirbelsäule und des Nackens.
Ferner ermöglicht die aufrechte Haltung ein besonders fließendes Aufstehen und Platznehmen. Sattelstuhlnutzer sind schon im Sitzen mehr oder weniger auf den Beinen. Das zahlt sich bei den Arbeitsabläufen mit häufigen Steh-Sitz-Wechseln aus – sei es in Werkstätten, Arztpraxen oder Friseursalons.
Im gleichen Maße profitieren auch Bürojobber, erst recht, wenn sie ihr Home Office oder Firmenbüro mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch ausstatten. Ein Sattelhocker animiert (wie auch Stehhilfen und Rundsitz-Hocker) zum Aufrichten, während ein Drehstuhl mit Armlehnen eine Komfortzustand schafft, zu dessen Auflösung es Disziplin braucht.
Vorteil 8 – Muskelstärkung: Wegen der fehlenden Rückenlehne arbeitet die Muskulatur beim Sitzen auf Sattelstühlen stärker mit. Wer besonders dynamisch sitzen möchte, sollte einen Sattelhocker mit Schwingmechanismus testen. Dieser erfordert Balancearbeit, die wiederum die „autochthone Muskulatur“ stärkt. Der Abbau dieser tiefliegenden Stützmuskeln ist nach Expertenmeinung ein wesentlicher Grund für Rückenschmerzen bei Vielsitzern.

Autochthone Muskulatur – das Stützkleid der Wirbelsäule
Unsere Wirbelsäule ist eine kippelige Säule aus 24 aufgetürmten Knochen (Wirbeln). An sich ist dieses Gebilde fragil, wären da nicht die tragenden Muskeln. Sie bilden ein Netz dünner Muskelstränge, die alle Wirbel wie gesponnene Fäden „umranken“ und in Position halten. Diejenigen Muskeln, die direkten Kontakt zu den Wirbeln haben, werden als „autochthone Muskulatur“ (= Aufrichter des Rückgrats) bezeichnet.
Die tief liegenden Stränge steuern wie dynamische Trägerseile die Statik unseres Körpers und gleichen z. B. Haltungswechsel aus. Gerade diese wichtigen Stützbänder sind bei vielen Menschen (häufig Sitzberufler) zu schwach. Mediziner sehen darin eine der Hauptursachen von Rückenschmerzen.
Nachteile
Nachteile von Sattelhockern
Die Vorteile von Sattelstühlen sind zumindest teilweise gut belegt – gerade Aspekte der Sitzdruckverteilung. Viele Studien stammen jedoch von Sattelhocker-Anbietern, die die Ergebnisse marketingorientiert darstellen. Interessenten sollten auch Nachteile des alternativen Bürositzmöbels bedenken.
Nachteil 1 – Positive Effekte sind modellabhängig: Die Effekte können je nach Sattelstuhl geringer ausfallen oder (bei ungeeigneten Modellen) gar nicht realisiert werden. Deshalb gehen wir in unserem Kaufratgeber so genau auf die Unterschiede der Sattelsitzformen ein.
Außerdem wird unterstellt, dass der Nutzer die ideale neutrale Haltung einnimmt. In der Praxis können Fehhaltungen auch beim Sattelsitzen vorkommen.
Nachteil 2 – Hohlkreuz-Haltung möglich: In einer kritischen Betrachtung geben Engels, Paul, et al. zu bedenken, dass die Fixierung der Oberschenkel auf dem Sattel und der feste Stand auf dem Boden mit einer „hohlkreuzartigen Änderung im Lumbalbereich der Wirbelsäule“ einhergehen könne. Gemeint ist die konkave Form der Wirbelsäule in der Abbildung.

(Quelle: Studie Engels et. al.)
Mit dem Einzeichnen der Lotlinie möchten die Autoren hervorheben, dass die beiden Sitzpositionen (Sitzen auf einem Sattelstuhl und Reiten auf einem Pferd) nach ihrer Meinung nicht übereinstimmen.
Links die Haltung auf einem Sattelstuhl: Das Becken ist nach vorne geneigt. Die Beine sind nach vorne gerichtet. Der Rumpf ist damit ebenfalls nach vorne geneigt, was mit einer hyperlodotischen Lendenwirbelsäule (LWS) einhergeht. Rechts hingegen die aufrechte Haltung beim Reiten.

Die Autoren machen leider keine näheren Angaben zum getesteten Sattelstuhl-Modell (Sattelform, Lehne ja/nein usw.). Ferner ist zu bedenken: Sollte das Sattelsitzen weniger rückenfreundlich sein als Reiten, so kann die aufgerichtete Haltung dennoch noch günstiger sein als das Sitzen auf einem konventionellen Stuhl – etwa mit Blick auf die absolute geringere Last auf die LWS.
Nachteil 3 – Auch Rundrücken-Haltung möglich: Ausgeprägte Sattelformen geben viel Halt. Gleichzeitig liegt darin eine Kehrseite: Denn die Fixierung verleitet zur Rundrückenhaltung (konvexe Wirbelsäule). Beispielsweise neigen Ärzte bei Behandlungen dazu, sich vorzubeugen (weil ja genug Halt gegeben ist), statt näher an den Patienten heranzurollen und aufrecht zu bleiben.

Besagte Studie von Engels, Paul, et al. moniert, dass der Darmbeinkamm zu wenig gestützt werde. Die Notwendigkeit der Stützung dieses Bereichs ist aber umstritten.
Nachteil 4 – Kein Zurücklehnen (Entspannungshaltung): Sattelhocker sind generell gut für den Rücken, haben aber meistens keine Rückenlehne (es gibt aber durchaus Sattelstühle mit Rückenlehne). Der Nutzer kann sich also nicht in gewohnter Weise zurücklehnen und entspannen.
Nachteil 5 – Keine Armlehnen: Hocker sind auf Bewegungsfreiheit ausgelegt. Sie besitzen naturgemäß keine Armlehnen. Das bedeutet, die Stützfläche des Arms beim Bedienen der Maus ist kleiner. Gewölbte Schreibtischplatten können dies etwas ausgleichen. Der Schultergürtel wird zwar etwas mehr belastet, wer einen Sattelhocker testet, nimmt aber meistens eine Lockerung von Schulterverspannungen wahr.
Wir empfehlen, den Sattelhocker vorerst ergänzend einzusetzen. Für entspannte Arbeitsphasen steht ein klassischer Bürodrehstuhl mit Lehne oder ein anderes Sitzmöbel (Kreativcouch, Ruhesessel o. Ä.) bereit.
Downloads
Quellen
- Adobe Stock
- Ursachen von Druckbeschwerden bei der Büro-Sitzarbeit[1]
- Interessanter Sattelstuhl Test mit Messung der Sitzdruckverteilung[2]
- Artikel zu den Anatomisch-physiologischen Vorteilen und Nachteilen von Sattelstühlen https://www.zm-online.de/archiv/2017/21/titel/taugt-der-sattel-in-der-praxis/ [3]
- Bewertung von statischen Arbeitshaltungen[4]
- Starrett, K., Cordoza, G. & Starrett, J. (2016). Sitzen ist das neue Rauchen: Das Trainingsprogramm, um lebensstilbedingten Haltungsschäden vorzubeugen und unsere natürliche Mobilität zurückzugewinnen (German Edition). Riva.
- Engels, P., Hokwerda, O., Wouters, J., & de Ruijter, R. Taugt der Sattel in der Praxis?
- [1] https://salli.com/de/warum-sollten-sie-salli-waehlen/maennliche-genitalgesundheit/sitzen/
- [2] https://salli.com/en/studies-and-articles-on-sitting/sitting-pressure-distribution-for-different-chair-types/
- [3] https://www.zm-online.de/archiv/2017/21/titel/taugt-der-sattel-in-der-praxis/
- [4] https://www.iso.org/standard/25573.html